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Mannheimer Morgen vom 2. Oktober 2006 |
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Spinnenangst,
Borschtsch und Sonderzüge
„Russische Nacht" in der Stadtbibliothek mit Sängerin und
Schriftstellerin Julia Neigel |
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Eine Sängerin, die sich als
Schriftstellerin entpuppt, und ein ehemaliger Schriftsteller, der
sich als Filmemacher versucht - die jüngste „Lange Nacht der Bibliothekö
geizte nicht mit überraschenden Perspektiven und Entdeckungen. Diese
korrespondierten mit dem vielfältig variierten Thema „Russland", dem
der Förderverein der Stadtbibliothek die Soiree im Lesesaal gewidmet
hatte. Denn auch heute, 17 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, ist
das Bild dieses Landes oft diffus und nicht selten klischeehaft
überzeichnet.
Nicht nur von harmlosen Klischees,
sondern von propagandistisch aufgeladenen Vorurteilen während der
Hochzeit des Kalten Krieges,wusste Roland Kern in seinem Vortrag
„Russland für Anfänger" zu berichten. • „Russen wohnen in Erdlöchern,
nicht in Häusern", habe 1964 ein Mitschüler Kern der Lüge bezichtigt,
als der damals Elfjährige nach einem Besuch im in der Sowjetunion von
dortigen Wohnungen berichtete. „Die einzige Möglichkeit zu beweisen,
dass ich nicht lüge, war: Die müs- |
sen selbst dahin", so Kern. Jahre
später konnte der in Speyer lebende ehemalige Baudezernent und „Fossil der
deutsch-russischen Freundschaft" seinen damals gefassten
Entschluss dann in die Tat umsetzen: 1987 verließ ein von Kern
organisierter Sonderzug mit 300 Fahrgästen den Speyerer Bahnhof mit
Ziel Leningrad.
Der Germanist Rembert Baumann
porträtierte den einzigen in Ludwigshafen lebenden russischen
Schriftsteller, Alexander Borodynja. Wobei das Wort
Schriftsteller auf das frühere Leben des Moskowiters verweist, hat
der Jelzin-Stipendiat und Autor von mehr als 20 Romanen doch 1998 erklärt,
als solcher nicht mehr zu existieren. „Er wollte sich nicht dem
Diktat von Betriebswirtschaftlern und Werbestrategen beugen", sagte
Rembert in Anwesenheit Bodynias. In Ludwigshafen widmet sich
Borodynia Filmprojekten, die im Foyer vor dem Kunstverein gezeigt
wurden.
Mit Spannung erwarteten die 200
Besucher den Auftritt von Julia Neigel, die zum ersten Mal öffentlich
aus ihren Anekdoten |
las. Eine launige
Auseinandersetzung mit ihrer Spinnenangst (Arachnophobie) und ihre Suche
nach Identität standen im Mittelpunkt der Lesung, in der die
40-Jährige bewies, dass es ihr nicht nur als Songtexterin gelingt,
Worte zu Papier zu bringen. Es waren sehr persönliche Einblicke, die Jule
Neigel den Zuhörern gewährte, sei es die Kindheit in Sibirien, sei es die
Rückkehr in das vermeintliche Paradies 30 Jahre danach: Statt der
„Tannenbaumillusion mit Zwiebeltürmchen" habe sie nur eine anonyme
Plattenbausiedlung und das heruntergekommene Elternhaus
vorgefunden.
Während die russische Galeristin
Marina Kiehns (Kunsthaus Oggersheim), begleitet von Pianistin Galina Rüb,
aus dem Wert ihrer Lieblingsdichterin Marina Zwetajewa vorlas,
beschäftigte sich Eleonore Hefner (Verein Kultur Rhein-Neckar) mit
erfolgreichen russischen Krimiautorinnen Mit dem Auftritt des „Trio
Scho" fand die „Russische Nacht", die kulinarisch unter anderem mit
Borschtsch und Piroschki aufwartete, ihren Ausklang.
ok |
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Julia Neigel liest bei der langen
Nacht der Bibliothek in Ludwigshafen ihren Anekdoten.
Bild:
Tröster |
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