Die Rheinpfalz - Nr. 176
Kultur Regional
IM PORTRÄT
Filme über Korruption und Tschernobyl verboten
Der in seiner Heimat einst bekannte russische Schriftsteller und Fernsehregisseur Alexander Borodynja lebt heute im Hemshof
Von unserer Mitarbeiterin Heike Marx
► Mit seinem zwischen wirren Haaren und struppigem Bart halb verbor­genen breiten Gesicht sieht Alexan­der Borodynja wie ein Bilderbuchrus­se aus. Der Mittvierziger wirkt ein wenig müde und beladen, doch die Augen leuchten. In Moskau war er ein erfolgreicher Schriftsteller und Fernsehregisseur. Rund zwanzig Ro­mane, viele Erzählungen. Theaterstü­cke, Hörspiele, Drehbücher hat er ge­schrieben. Die Gesamtauflage er­reicht acht Millionen. Hier zu Lande konnte er davon komfortabel leben. In Russland aber habe das Honorar für einen Roman oft kaum für mehr als eine Packung Zigaretten gereicht, sagt er. Der Westen zeigt sich bisher wenig interessiert. Einige Erzählun­gen sind ins Französische übersetzt, in deutscher Sprache liegt nur ein Theaterstück vor. Es steht in der Tra­dition des absurden Theaters und hat die Form lose aneinander gereih­ter Szenen, die das Thema Tod auf eigenwillige Art beleuchten. Das Stück wurde in Berlin aufgeführt.
Seit 1999 wohnt Alexander Boro­dynja im Hemshof. Er hat aufgehört zu schreiben, offiziell jedenfalls. Er macht weiter Filme und neuerdings auch Bilder am Computer. No-bud-get-Filme für die Schublade. Ehe er seit 1989 dank der Perestroika berühmt
ne Orthographie sei immer abenteuer­lich gewesen, beteuert seine Frau Rais-sa, die m Moskau seine Bücher lekto­riert hat. Er hatte sich vorgestellt, dass ihm. der sein Leben lang mit der russi­schen Sprache gearbeitet hat, das Er­lernen einer Fremdsprache schwerer fallen würde als Leuten mit anderen Berufen. Aber nun purzelten in sei­nem Kopf die deutschen Wörter so chaotisch durcheinander, meint er. wie beim Schreiben die Buchstaben.
Schon in frühester Jugend begann Borodynja zu schreiben und zu foto­grafieren. Als Künstler führte er ein Leben im Untergrund, nicht verfolgt, aber nicht zur Kenntnis genommen. Veröffentlicht und gut bezahlt wurden nur die bestellten Texte der Staats-schriftsteller. Die anderen mussten sich ihren Lebensunterhalt mit Gele­genheits berufen verdienen. Damals schon gründete Borodynja eine Litera­turwerkstatt und nennt heute stolz die besten Literaten Russlands seine Schü­ler. Die Perestroika kehrte die Situati­on um. Borodynja war erst Gorba­tschow-, dann Jelzin-Stipendiat. Die früheren Autoren existieren nicht mehr. "Ohne die sättigende Futterkrip­pe der Breschnew-Ära sterben sie ein­fach aus", sagt Borodynja. Die Bücher der neuen Autoren werden zwar ge­druckt, aber es ist kein Geld für Hono­rare da.
Wegen des Erfindungsreichtums ih­rer spannenden Geschichten und
ihrer tieferen Bedeutung wurden Boro­dynjas Romane und Erzählungen von Intellektuellen so gern wie von einfachen Leuten gelesen: Science Fiction; historische Romane, Krimis, Thriller, utopische Romane wie sein vierbändiges Hauptwerk "Chronik ei­ner möglichen Zukunft". Sein demi­urgischer Gestaltungswille erfand nicht nur knackige Plots zu KGB-In-trigen und verquickten Mordstorys, sondern auch zu Phänomenen wie Sektiererei und russischen Neonazis. Für das russische Fernsehen machte er mehrere Dokumentationen und leider auch die Erfahrung, dass die neue Freiheit nicht grenzenlos war. Seine Doku über Korruption wurde nur verstümmelt gesendet, die über Tschernobyl überhaupt nicht. Aus den Recherchen dazu fiel ein Roman ab über Marodeure, die verstrahlte Güter aus den Sperrgebieten in ganz Russland in Umlauf bringen.
Als Schriftsteller sei er gestorben, sagt Borodynja. Bleiben die Filme und die aus deren Computer-Bearbei­tung neu gewonnene Lust. Meist nimmt er Videostills als Atisgangsba­sis, manchmal ist das gesamte Bild gerechnet. Im Rathaus von Lambs­heim stellte er seine Computer-Gra­fik aus. Filme möchte er machen. Beim russischen Fernsehen hatte er eine Crew. Hier habe er gelernt, ohne Geld und Personal auszukom­men.
Trotz hoher Auflagen geringe Einkunfte: Alexander Borodynja. FOTO BHP

 

wurde, hat er schon über ein Jahrzehnt für die Schublade geschrie­ben. Er ist nicht gesund, aber das war er sein Leben lang nicht. Dass ihn jetzt auch die Augen im Stich zu lassen be­ginnen, macht ihn in einer melancholi­schen Weise zornig, wie nur Russen zornig sind: "Ich war ein Schriftsteller, der nicht lesen kann, jetzt bin ich ein

 

Filmemacher, der nicht sehen kann. " Das mit dem Lesen meint er ernsthaft. Das habe auch damit zu tun, dass er am Erlernen der deutschen Sprache verzeifelt ist.

Seine Kindheit war von Krankheit geprägt. Als Folge einer Meningitis hat­te sich unter anderen Dauerschäden auch eine Legasthenie eingestellt. Sei-